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27. Januar – Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
Jehovas Zeugen erinnern jedes Jahr an mutige NS-Verweigerer, die sich aus christlicher Überzeugung keiner menschenverachtenden Ideologie beugten. In diesem Jahr richten sie den Fokus auf die zur Zeit des Hitler-Regimes auch heftig verfolgten Kinder, die ihren Eltern oft gewaltsam entrissen und zur Umerziehung in NS-Erziehungsanstalten gebracht wurden. Eines dieser Kinder war Simone Arnold-Liebster.

Berlin, 20.01.2024 – Jehovas Zeugen möchten auch in diesem Jahr an die fast vergessenen NS-Opfer aus ihren eigenen Reihen erinnern. Von den circa 25 000 Zeugen Jehovas, die 1933 in Deutschland lebten, wurde fast jeder Zweite von den Nationalsozialisten verfolgt. Insgesamt kamen europaweit rund 1 800 zu Tode.

Die Gläubigen der Religionsgemeinschaft lehnten zur Zeit des Hitler-Regimes aus christlicher Überzeugung die Ideologie der Nationalsozialisten entschieden ab, verweigerten rassistisch geprägte Aktivitäten und auch den Wehrdienst. Als Antwort darauf wurden sie vom Regime verboten, brutal verfolgt und gehörten zu den ersten Häftlingen in den Konzentrationslagern. Wie weit die Feindseligkeit gegen Jehovas Zeugen ging, wird insbesondere daran deutlich, wie das Regime mit den Kindern umging: Häufig wurden sie ihren gläubigen Eltern gewaltsam entrissen und in sogenannte NS-Erziehungsheime gesteckt. Doch meistens kamen die NS-Fanatiker trotz sadistischer Methoden kaum gegen den starken Willen der Kinder an. Das wird am Beispiel von Simone Arnold-Liebster deutlich.

Ungebrochen trotz grausamer Misshandlung

Simone zieht es schon als Elfjährige im besetzten Frankreich vor, ihrem christlichen Gewissen als Zeugin Jehovas zu folgen, anstatt dem Druck der menschenverachtenden NS-Ideologie nachzugeben. Sie verweigert in der Schule den Hitler- und Fahnengruß sowie das Singen von Soldatenliedern. Darum wird sie von Lehrern und Schülern schikaniert und misshandelt. Simone erinnert sich: „Einmal wurde ich ohnmächtig geschlagen, man untersagte sogar unserem Hausarzt, mir zu helfen. Ich wurde vom Gestapo-Psychiater über eine Stunde verhört, worauf man mich dann vor das Jugendgericht brachte.“ Schließlich wird sie mit 12 Jahren ihrer Mutter entrissen und in eine NS-Erziehungsanstalt nach Konstanz verschleppt.

Dort muss sie Zwangsarbeit und seelische Misshandlung durchstehen. „Zweimal im Jahr konnten wir baden, einmal im Jahr unser Haar waschen. Uns Kindern wurde das Sprechen verboten“, erzählt Simone. Die Kinder werden mit Schlägen und Nahrungsentzug bestraft. Doch Simone lässt sich nicht brechen: Sie bleibt ihren christlichen Werten treu – und das fern ihrer Eltern, die beide in deutschen Konzentrationslagern waren. Wäre die Befreiung nicht gekommen, hätte man sie mit 15 Jahren in ein Konzentrationslager überstellt. Nach Kriegsende ist Simone wieder mit ihren Eltern vereint. Sowohl ihr Vater als auch ihre Mutter überleben nur knapp die menschenunwürdigen Zustände der deutschen Konzentrationslager und sind von Hunger und Verletzungen so stark gezeichnet, dass Simone sie fast nicht wiedererkennt.

Mit ihrem mittlerweile verstorbenen Ehemann Max Liebster, selbst Holocaust-Überlebender, gründet sie 2002 die Arnold-Liebster-Stiftung mit dem Ziel, das Gedenken an Opfer von Diktaturen und religiöser Verfolgung wachzuhalten.

Bundesverdienstkreuz für friedliche Erinnerungskultur

Im letzten Jahr wurde Simone als „Zeichen der Dankbarkeit für ihre Bemühungen, die Erinnerung an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zu bewahren und weiterzugeben“ vom Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier der Verdienstorden der Bundesrepublik verliehen. In den letzten 20 Jahren sprach die heute 93-jährige Elsässerin vor rund 27 000 Studenten, Lehrern und anderen über die Wichtigkeit, friedliche Werte zu erhalten und der Stimme des Gewissens zu folgen. Seitdem unterstützt ihre Stiftung zahlreiche Projekte zur Aufarbeitung der Geschichte und Bildungsprogramme, um Frieden, Toleranz sowie die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere religiöser Freiheit, zu fördern – Themen, die angesichts steigender rassistisch motivierter Gewalt aktueller kaum sein könnten. Auch in der Bundesrepublik ist ein deutlicher Anstieg an Fällen von Hasskriminalität gegen religiöse Minderheiten, Jehovas Zeugen eingeschlossen, zu verzeichnen.

Jehovas Zeugen möchten darum in diesem Jahr besonders an Geschichten wie die von Simone Arnold-Liebster erinnern. Ihre Geschichte macht deutlich, dass es einfachen Menschen gelingen kann, Rassismus und religiöser Intoleranz friedlich entgegenzuwirken. Simone sagt: „Wenn es Liebe und Glaube gibt, dann gibt es auch die Kraft zum Widerstehen gegen die Unmenschlichkeit. Diese Kraft kommt aus dem eigenen Gewissen – unserem Gewissen zur Mitmenschlichkeit.“