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KZ-Überlebende und Zeitzeugin Hermine Schmidt im 99. Lebensjahr verstorben

Lübeck, 2. April 2024 – Am 31. März verstarb die am 13. November 1925 in Danzig geborene Hermine Schmidt. Die Tochter von Oskar und Frieda Koschmieder hatte eine glückliche und behütete Kindheit in ihrer Heimatstadt. 1939 erfolgte der Anschluss Danzigs an das Deutsche Reich mit weitreichenden Folgen für die jüdische Bevölkerung, aber auch für Zeugen Jehovas, die die menschenverachtende Ideologie des NS-Regimes ablehnten. Hermine teilte die Überzeugung ihrer Eltern, die den Zeugen Jehovas angehörten, und war deshalb in der Schule zunehmenden Schikanen ausgesetzt. 1941 begann sie eine Ausbildung als Versicherungskauffrau. 1942 ließ sie sich als Zeugin Jehovas taufen. Am 16. Juni 1943 kam sie gemeinsam mit ihren Eltern in Gestapo-Haft, die bis Februar 1944 andauerte.

Ihre Freiheit währte nicht lang. Am 12. April 1944, nur drei Monate nach ihrer Freilassung, wurde die 18-Jährige erneut inhaftiert und Anfang Mai 1944 in das KZ Stutthof bei Danzig deportiert, wo sie unbeschreibliche Gräueltaten miterleben musste. Hermine fand emotionalen Halt in ihrer christlichen Überzeugung als Zeugin Jehovas. In ihrer 2001 erschienenen bewegenden Autobiografie „Die gerettete Freude“ beschreibt Hermine ihre Erfahrungen im NS-Deutschland. Sie sei nicht als Heldin geboren worden, betonte sie, sondern musste es erst lernen, standhaft zu bleiben angesichts der wiederholten Versuche der Nationalsozialisten, sie zu brechen. In ihrer Biografie schildert Hermine auch die dramatische Geschichte ihrer Rettung. Im Rahmen einer Zwangsevakuierung über die Ostsee war sie mit 370 anderen Häftlingen auf einem Kahn schutzlos dem Meer ausgeliefert. Schließlich landeten sie in einem kleinen Hafen auf der dänischen Insel Møn, wo sie am 5. Mai 1945 fürsorglich aufgenommen und befreit wurden.

Mit dem Titel ihrer Autobiografie beschrieb Hermine zudem sehr treffend ihre von Freude geprägte Persönlichkeit trotz der schmerzhaften Erinnerungen an die erschütternden Erfahrungen unter dem NS-Regime. Im privaten Umfeld, im Gemeindeleben und bei zahlreichen Veranstaltungen, wo sie als Zeitzeugin sprach, wurde sie als lebensbejahende Person wahrgenommen. Hermine besaß einen unerschütterlichen Optimismus.

Diese Ausstrahlung blieb auch Horst Schmidt nicht unbemerkt – als Kurier von Bibelforscherschriften hatte dieser bereits im Frühjahr 1943 die Wohnung der Familie Koschmieder aufgesucht und so Hermine kennengelernt. Die beiden heirateten 1947. Bei vielen Gedenkveranstaltungen seit den 1990er- Jahren traten sie gemeinsam als Zeitzeugen auf. Horst Schmidt war vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt worden, weil er als Zeuge Jehovas den Kriegsdienst verweigert hatte. Während Horst im Zuchthaus Brandenburg-Görden auf seine Hinrichtung wartete, wurde er am 27. April 1945 von den Russen befreit. Das Ehepaar, Eltern einer Tochter, lebte in Mühlheim an der Ruhr. Nach dem Tod ihres Mannes verbrachte Hermine ihren Lebensabend in Lübeck, wo sie nun im Alter von 98 Jahren verstarb.