Select a language

Jehovas Zeugen erreichen gerichtlichen Vergleich im Verfahren wegen unwahrer Behauptungen
Religiöse Diskriminierung unter dem Deckmantel der Wissenschaft – Doktorarbeiten unterliegen presserechtlicher Haftung

Berlin, 17. Juni 2022 — Nachdem ein Gericht der Klage von Jehovas Zeugen weitgehende Erfolgsaussichten bescheinigte, schloss ein Wissenschaftsverlag eine gütliche Einigung mit den Zeugen. Der Verlag hatte eine Doktorarbeit veröffentlicht, die unwahre und ehrverletzende Informationen enthält.

Jehovas Zeugen hatten gegen den Verlag geklagt, nachdem dieser eine Doktorarbeit von Alexander Kühn veröffentlicht hatte. Die Dissertation enthält 20 Behauptungen, in denen sich der Verfasser nach Auffassung der Zeugen unwahr über die Lehren und die Glaubenspraxis der Religionsgemeinschaft äußert – wie zum Beispiel, Aussagen zur Überwachung von Mitgliedern durch die Religionsgemeinschaft und dass sie sich als „Staat im Staat“ sähen. In der Gerichtsverhandlung am 6. Mai 2022 signalisierte die Pressekammer des Landgerichts Hamburg deutlich: Wissenschaftliche Arbeiten, die von Wissenschaftsverlagen herausgegeben werden, unterliegen wie jede andere Presseveröffentlichung der Verbreiterhaftung.

Der Wissenschaftsverlag berief sich auf die Wissenschaftsfreiheit und machte geltend, dass er für die Verbreitung der Doktorarbeit nicht hafte, selbst wenn diese Unwahrheiten enthalte. Der Verlag versuchte, die angegriffenen Äußerungen zu verteidigen. Hierfür legten sie dem Gericht allerdings Dokumente vor, die mit der Hilfe von verbitterten ehemaligen Mitgliedern verfasst worden waren.

In der mündlichen Verhandlung vertrat die Pressekammer die Auffassung, dass auch unter Berücksichtigung des besonderen Charakters eines Wissenschaftsverlages eine Haftung möglich ist. Auf dringendes Anraten des Gerichts erklärte sich der Wissenschaftsverlag zu einem Vergleich bereit, mit dem er sich verpflichtet, es künftig zu unterlassen, die 20 gerügten Aussagen zu verbreiten oder verbreiten zu lassen.

Nicht nur Jehovas Zeugen erachteten die Doktorarbeit als verfehlt: Wissenschaftliche Begutachtungen belegen, dass 129 (!) Behauptungen als falsch einzustufen sind. Die Dissertation wurde außerdem dafür kritisiert, sich nicht auf einen einzigen relevanten Fachbeitrag der letzten 30 Jahre gestützt zu haben. Stattdessen seien vorwiegend ältere sektenkundliche Werke, Schriften von Aussteigern sowie neuere polemische Anti-Sekten-Literatur und Anti-Sekten-Websites angeführt worden.

Hätte der Autor wissenschaftlich korrekt recherchiert, wäre er auf obergerichtliche Aussagen gestoßen – gestützt auf wissenschaftliche Erhebungen des Bundestages –, in denen festgestellt wird, dass objektive Erkenntnisse für die Beurteilung von Jehovas Zeugen nicht durch die Aussagen von Personen gewonnen werden können, die die Religionsgemeinschaft im Unfrieden verlassen haben. Mit der Verwertung von Informationen aus Aussteigerkreisen handelte der Autor per se gegen wissenschaftliche Erkenntnisse und Arbeitsmethoden. Unverständlich ist deshalb auch, wie Professoren der Technischen Universität Chemnitz solch eine Arbeit mit einem Doktortitel würdigen konnten. In diesem Fall wird das Renommee des Verlags aufgrund der mangelhaften Arbeit des Autors und der beteiligten Professoren beeinträchtigt.

Rechtsanwalt Armin Pikl, der die Religionsgemeinschaft in dem Verfahren vertreten hatte, weist darauf hin: „Wer sich auf Informationen von Aussteigervereinen verlässt, muss damit leben, dass Pressemitteilung vom 17. Juni 2022 Seite 2 er nicht nur ein verfälschtes Bild über Jehovas Zeugen wiedergibt, sondern häufig sogar Unwahrheiten verbreitet.“

Wolfram Slupina, Sprecher von Jehovas Zeugen, konstatiert: „Jehovas Zeugen als extremistisch einzustufen betrachten wir sehr kritisch, da das Verbot und die Verfolgung unserer Glaubensangehörigen in Russland auf einer vergleichbaren argumentativen Grundlage beruht. Wer leichtgläubig Informationen von Aussteigergruppierungen vertraut und darauf baut, darf sich nicht wundern, wenn die dort gepflegte religiöse Diskriminierung auch auf die eigene Arbeit abfärbt, selbst wenn dies nicht die Intention des Autors gewesen sein mag. Religiöse Diskriminierung unter dem Deckmantel von Wissenschaft ist inakzeptabel.”